„Kinder brauchen Kinder“

(Foto: Ingo Wandmacher)

Im Frühjahr 2021, mitten in der dritten Welle der Corona-Krise, haben wir mit einer Fachfrau darüber gesprochen, was der Lockdown für Kinder bedeutet. Unsere Interviewpartnerin, Dr. Katrin Große-Wortmann, ist Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Hannover, wo sie eine psychotherapeutische Gemeinschaftspraxis betreibt. Zuvor war Dr. Große-Wortmann viele Jahre Oberärztin am Zentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität Zürich. Wichtig ist ihr ein systemischer Therapieansatz, der Familie und Umfeld einbezieht. Sie hat zwei jugendliche Töchter, die in zahlreichen vamos Urlauben viel Spaß in unserer Kinderbetreuung hatten.

VAMOS: Über ein Jahr lang beherrscht Corona bereits unser Leben. Was haben Sie als Fachärztin bei Kindern und ihren Familien beobachtet?

KATRIN GROSSE-WORTMANN: Licht und Schatten. Im ersten Lockdown, im Frühjahr 2020, fiel für Kinder auch eine Menge Druck weg. Es war plötzlich offiziell in Ordnung, einfach mal nichts zu machen. Viele Eltern und Kinder haben es genossen, mehr Zeit miteinander zu verbringen. Als der Präsenzunterricht wieder los ging, haben sich alle Schüler darüber gefreut – Schule war von der Pflicht zum Privileg geworden. Bis zum Herbst 2020 habe ich in meiner Praxis tatsächlich kaum negative psychologische Auswirkungen festgestellt. Seitdem jedoch mehren sich Neuanmeldungen vor allem wegen Essstörungen, auch Zwänge und Ängste haben zugenommen.

Digitale Treffen sind kein Ersatz

Dr. Katrin Große-Wortmann ist Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie

VAMOS: Kinder und Jugendliche mussten direkte Kontakte zu Gleichaltrigen über lange Zeiträume stark einschränken und ins Digitale verlagern. Was bedeutet das für Heranwachsende?

KATRIN GROSSE-WORTMANN: Kinder brauchen andere Kinder. In der Gruppe erlernen sie soziale Kompetenz, lachen zusammen, haben gemeinsame Erfolgserlebnisse und spüren: Ich bin Teil eines Teams, ich werde gemocht. Außerdem leben Kinder davon, spontan sein zu können, sich im Kindergarten oder auf dem Schulweg für später zu verabreden zum Beispiel. Das alles fehlt. Digitale Treffen sind kein Ersatz, werden aber von älteren Kindern und Jugendlichen trotzdem als sehr hilfreich empfunden. Voraussetzung ist neben dem Alter der Kinder natürlich, dass die technische Ausrüstung vorhanden ist. Das ist ja nicht immer der Fall.

VAMOS: Familien sind seit Corona sehr viel zusammen zu Hause. Ist das gut oder schlecht für das Verhältnis?

KATRIN GROSSE-WORTMANN: Dauernd zu Hause zu sein, kann für Familien natürlich anstrengend werden. Gerade im zweiten Lockdown ist die Wohnung ein „ein School- und Office-Place“, wie es die Süddeutsche Zeitung nannte, mit Anforderungen an Logistik und Gelassenheit. Grundsätzlich wirkt Corona so, als würde man durch ein Brennglas schauen: auf Probleme wie auf Chancen. Familien, die vorher schon sehr kreativ bei der Krisenbewältigung waren, profitieren davon unter Corona-Bedingungen. Aber auch Familien mit weniger Ressourcen finden jetzt oft einfallsreiche Lösungen.

Wie Eltern helfen können

Wenn Schule und Kita geschlossen sind, ist Kreativität daheim gefragt. Noch besser als zusammen basteln: miteinander sprechen. (Foto: Ute Kaiser)

VAMOS: Womit können Eltern ihren Kindern konkret helfen?

KATRIN GROSSE-WORTMANN: Indem sie viel mit ihnen über Corona reden. Ich finde es wirklich wichtig, dass Kinder altersgerecht gut informiert sind. Es gibt inzwischen sehr gute Kinderbücher über Corona und auch Podcasts, die man zusammen hören kann. Man sollte auch darüber reden, was doof ist, was aber leichter wird, wenn sich alle in der Familie gemeinsam anstrengen. Wenn Kinder verstehen, worum es geht, handeln sie fast immer sehr verantwortungsvoll und helfen mit.

VAMOS: Wie kommen Kinder mit Regeln wie Masken und Abstand klar?

KATRIN GROSSE-WORTMANN: Erstaunlich gut, wenn die Eltern plausibel vermitteln: Das ist jetzt eine Zeit lang aus bestimmten Gründen wichtig. Dann bewältigen schon Grundschulkinder die Einhaltung von Regeln und machen sich gegenseitig auf Regelbrüche aufmerksam. Aber natürlich verhalten sich Kinder und Jugendliche jetzt nicht so unbeschwert wie sonst, sind geprägt auf Abstand und Vorsicht. Ob das mittelfristig Folgen hat, kann man jetzt sicherlich noch nicht sagen.

Auf Warnsignale achten

VAMOS: Viele Eltern machen sich aktuell Gedanken über die psychische Gesundheit ihrer Kinder. Was können Warnsignale sein?

KATRIN GROSSE-WORTMANN: Wenn Kinder sich zurückziehen oder schlecht schlafen. Essstörungen deuten sich bei Jugendlichen manchmal über exzessive Workouts oder ständige Beschäftigung mit gesunden Lebensmitteln an. Händewaschen ist wichtig, kann aber zwanghaft werden. Warnsignale zu beachten ist gut, Überängstlichkeit nicht. Kinder finden in schwierigen Situationen oft ganz alleine kreative Lösungen.

Wir bedanken uns für das Gespräch! Und freuen uns, dass alle Zeichen im Juni 2021 darauf hindeuten, dass Sommerurlaub mit vamos Kinderbetreuung möglich ist.

Unbeschwert mit anderen Kindern zusammen zu sein, fördert die soziale Kompetenz.