Waltraud Unterlechner – Biohotel Grafenast

Waltraud Unterlechner, Gastgeberin im Biohotel Grfenast in Tirol.

Heftstich, Steppstich, Blindstich – Waltraud Unterlechner steht stich- und nadelfest mit beiden Beinen auf dem Boden. Den gleichförmigen Stechschritt geht sie aber alles andere als gerne. Viel lieber schneidert sie sich ihr Leben, wie es ihr gefällt!

Schneiderin mit Musik im Garn

Waltraud Unterlechner in ihrer Schneiderwerkstatt.
Waltraud Unterlechner in ihrer Schneiderwerkstatt.

Sie liebt es maßgeschneidert und ist selbst so gar nicht angepasst: Mit Waltraud Unterlechner lernen die Gäste im Biohotel Grafenast eine Gastgeberin kennen, die ihren eigenen Weg geht. Schon immer gegangen ist. Hotellerie? Für die damals 16-jährige „Wally“, wie sie von Freunden in ihrem Tiroler Heimatort Schwaz genannt wird, noch gar kein Thema. Als Zweitälteste von fünf Geschwistern entscheidet sie sich für eine kreative Arbeit, die den „Ernst des Lebens“ einläuten soll: Menschen in adrette Kleider hüllen, das ist ihre Berufung. Oder wie es die impulsive 54-Jährige beschreibt: „Ich bin kein Mensch fürs Büro, ich muss etwas Gescheites tun!“

Auf eine Schneiderlehre folgt der Meistertitel, den sie in einer Textilfachschule nahe Bregenz erwirbt. Nach einer Zeit in München zieht sie zurück nach Hause. Sie mag Großstädte wie Berlin, allerdings weiß sie auch, wo es ihr am besten geht: „Ich freue mich jedes Mal, wenn ich wieder hier hochkomme, weil es für mich einfach ein anderes, ein besseres Leben ist“, beschreibt die Kunstliebhaberin ihr Gefühl, wenn sie ins Inntal heimkehrt. Mit einer eigenen Schneiderei macht sie sich in Schwaz selbstständig, per Zufall kommt noch etwas Musik ins Spiel – für einen Dirigenten soll sie ihren ersten Konzertanzug schneidern. Keine leichte Aufgabe, wie sich bald herausstellt. Ein halbes Jahr arbeitet sie an einem perfekten Anzug nach Maß. Das hinterlässt Eindruck: Ihr Talent bleibt in der Konzertszene nicht unerkannt, Waltraud Unterlechner spezialisiert sich und kleidet in den Folgejahren eine Reihe weiterer Dirigenten ein, zu denen sie teilweise bis heute Kontakt pflegt.

Ein zweiter Weg

Die tapfere Schneiderin, die aus ihrem kleinen Bergdorf hinaus in die große Stadt geht und als erfolgreiche Unternehmerin zurückkehrt: Hinter Waltraud Unterlechners Geschichte könnte man jetzt eigentlich einen Punkt setzen. Könnte man – wenn sie nicht während eines Aufenthaltes im Biohotel Grafenast Peter kennengelernt hätte, der im Hotel seiner Eltern arbeitet: Die damals 38-Jährige und der 13 Jahre jüngere Peter verlieben sich ineinander. 15 Monate später erblickt Sohn Moritz das Licht der Welt. Viel wurde zu dieser Zeit im Dorf über das ungleiche Paar geredet, erinnert sie sich, ihre Liebe zueinander beeinflusst es nicht. Ganz im Gegenteil: Das glückliche Trio zieht in das Haus von Waltraud nach Schwaz, die Geburt von Töchterchen Rosa macht das Quartett komplett. Und mit der Zeit legt sich auch die Aufregung um das Paar.

Die Familie als Kraftquelle: Waltraud Unterlechner mit ihrem Ehemann Peter und ihren Kindern Moritz und Rosa.
Die Familie als Kraftquelle: Waltraud Unterlechner mit ihrem Ehemann Peter und ihren Kindern Moritz und Rosa.

Ordentlich Leben in der Bude

Peter übernimmt den elterlichen Betrieb, die Familie verlegt ihren Lebensmittelpunkt ins Grafenast. Mittlerweile ist auch Waltraud Unterlechner voll in den Hotel-Alltag eingestiegen – 2011 gibt sie nach fast 30 Jahren ihre Schneiderei auf, ihren Platz im Hotel muss sie für sich aber erst finden. Die Suche verläuft erfolgreich: Nach einer Zusatzausbildung zur Kosmetikerin bietet sie im Grafenast Behandlungen an, im Sommer wandert sie frühmorgens mit Gästen dem Sonnenaufgang entgegen. Und ihre Leidenschaft für Nadel und Faden hat sie auch nicht aufgegeben: In der Schneiderwerkstatt lernen Kinder bei Waltraud Unterlechner den richtigen Umgang mit Schere und Garn kennen. Abwechslung, die die passionierte Tänzerin und Theatergängerin zum Atmen braucht: „Ich muss ein bisschen Leben in meinem Leben haben, das ist etwas, was mir ganz wichtig ist.“ Maßgeschneidert, ja – angepasst mag sie es aber halt nicht so gern.